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Der Zeitgeist steht auf unserer Seite

Wir treffen uns heute im NOI-Techpark und hier befand sich früher eine leere Fabrik, die in den 1930er Jahren errichtet wurde und Aluminium produzierte – die Substanz von Bomben, Flugzeugen und Kaffeemaschinen.  Die Energie für die Produktion lieferten Wasserkraftwerke, die in unserem Land im Rahmen der faschistischen Autarkiepolitik entstanden waren. 1931 ging das Kraftwerk in Kardaun bei Bozen als damals größte Anlage dieser Art in Europa ans Netz. Kurz gesagt: Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lieferten die Südtiroler Kraftwerke 12 Prozent des gesamten italienischen Stromverbrauchs.

Aluminium, das als Folie und Gerüst zur Umhüllung zahlreicher Dinge – vom Butterbrot bis zur Baustelle – dient, wird weggeworfen, sobald das Butterbrot gegessen und das Gebäude fertiggestellt ist. Berge werden planiert, um Bauxit anzubauen, das Haupterz des Aluminiums. Berge aus Aluminiumschrott werden womöglich ihren Platz einnehmen. Die Alumix-Fabrik war lange Zeit ein Monument für das Übriggebliebene. 2008 ging die europäische Kunstbiennale Manifesta diesen „Resten“ nach – und an diese Ausstellung erinnert der mit Graffiti-Schablonen besprühte Turm, an dem Sie vorbeigegangen sind.

Inzwischen steht das ehemalige Fabrikgelände, das von hohen Mauern umgeben war, für die Innovationsfähigkeit unseres Landes – wo früher Schmelztiegel und Transformatoren standen, wird heute geforscht. Hier entstehen neue Technologien und hier treffen sich Start-Up-Gründer, die Mauern wurden durchbrochen und auf die Einkapselung folgte Offenheit. Morgen, wenn wir das Kraftwerk St. Anton besuchen, sehen Sie ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Monument der Technik– und dabei handelt es sich um eine Anlage aus den frühen 1950er Jahren und das fünftgrößte Südtiroler Wasserkraftwerk – neugestaltet
wird.

Diese Innovationsfähigkeit findet man natürlich auch in unseren Energiegenossenschaften, die – seit mehr als 100 Jahren – die Versorgung der Bevölkerung in vielen Südtiroler Tälern verlässlich sicherstellen. Heute Nachmittag werden wir Ihnen die E-Werk-Genossenschaft in Prad und das Vinschgauer Energiekonsortium VEK vorstellen – Fallbeispiele dafür, wie eine
dezentrale und bürgernahe Versorgung mit Strom und Wärme in den Zeiten der Energiewende modern und zukunftsweisend sein kann.

Der große Erfolg des E-Werks in Prad ist vor allem ein Verdienst von Georg Wunderer, an den ich hier erinnern möchte. Der Vizepräsident des SEV und Obmann der Energie-Werk Prad Genossenschaft ist am 1. Juni 2018 gestorben. Georg Wunderer gehört zu den bedeutenden Energiepionieren in unserem Land. 1980 übernahm er die Leitung der E-Werk Genossenschaft in Prad, die sein Großvater mit aufgebaut hatte. Seitdem setzte er sich mit großem Fachwissen und hartnäckig gegen Widerstände ankämpfend für eine dezentrale, bodenständige und – vor allem – genossenschaftlich organisierte Versorgung mit erneuerbarer
„Energie von daheim“ ein. Dieses auf eine historisch gewachsene Energielandschaft mit vielen kleinen und mittleren Betrieben zugeschnittene Modell hat er in Prad beispielhaft umgesetzt und wurde dafür in Italien und in Europa mehrfach ausgezeichnet. 2015 erhielt Georg Wunderer für sein Lebenswerk das Verdienstkreuz des Landes Tirol.

Es ist ja kein Zufall, dass die EU im Rahmen ihres Maßnahmen-Pakets „Saubere Energie für alle Europäer“ den Begriff ‘citizens energy communities’ kürzlich in das europäische Rechtssystem aufgenommen hat. Und es ist sicher kein Zufall, dass der Klimawandel bei den Europawahlen in Deutschland das mit Abstand wichtigste Thema war.

Sehr geehrte Gäste, als genossenschaftliche Produzenten und Verteiler von erneuerbarer Energie haben wir einen Trend antizipiert und das sollten wir – bei allen Schwierigkeiten, die es natürlich auch gibt – nicht vergessen. Wir können daher durchaus selbstbewusst auftreten – schließlich steht der „Zeitgeist“ auf unserer Seite. In diesem Sinn bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit und wünsche ihnen eine erfolgreiche Tagung.

Eröffnungsrede zur Frühjahrstagung der norditalienischen Stromgenossenschaften im NOI-Techpark in Bozen (31.Mai - 01. Juni 2019)




 
 
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