Strompreise: Der Draghi-Bericht
28.09.2024
Warum ist Strom in Europa teurer als in den USA oder in China? Der im September vorgelegte Bericht des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit gibt Anworten.
Die hohen Preise für elektrische Energie und Wärme sind, vor allem nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, ein gravierender Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie. Laut dem Draghi-Bericht ist dieses Ungleichgewicht vor allem auf strukturelle Ursachen zurückzuführen. So verfügt Europa nur über wenige natürliche Ressurcen und die kollektive Verhandlungsmacht der EU-Staaten ist begrenzt – obwohl Europa der weltweit größte Abnehmer von fossilem Erdgas ist. Die Preisunterschiede – so der Draghi-Bericht – seien aber auch „auf grundlegende Probleme auf dem EU-Energiemarkt” zurückzuführen. Die Höhe der Investitionen der für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze bereitgestellten Investitionen sei „suboptimal” und die Marktregeln hinderten sowohl Industrie wie auch die Haushalte daran, „die finanziellen Vorteile erneuerbarer Energie voll auszuschöpfen”. Die im Vergleich zu anderen Teilen der Welt höhere Energiebesteuerung verteure die Preise für Strom und Wärme zusätzlich.
Stichwort Erdgas: Die EU ist der größte Gas- und LNG-Importeur weltweit, doch die kollektive Verhandlungsmacht der Gemeinschaft wird kaum genutzt. Während der Energiekrise im Jahr 2022 führte der EU-interne Wettbewerb um Erdgas sogar zu einem übermäßigen Preisanstieg. Daraufhin entwickelte die EU einen eigenen Koordinierungsmechanismus, um die Nachfrage zu bündeln, aber es besteht keine Verpflichtung zum gemeinsamen Einkauf auf dieser Plattform. 2023 bezogen die EU-Staaten – nach dem Importstop für russisches Erdgas – 42 Prozent ihrer Gaseinfuhren als LNG (Liquefied Natural Gas). Allerdings sind die LNG-Preise auf den Spotmärkten, auf denen kurzfristige Lieferverträge abgeschlossen werden, die den Gashandel in der EU dominieren, aufgrund der Verflüssigungs- und Transportkosten höher als die Preise für Erdgas, das über Pipelines transportiert wird. Selbst Erdgas, das im Rahmen langfristiger Verträge eingekauft wird, ist größtenteils an die Spotmärkte gebunden, die weltweit zunehmend von asiatischen Lieferanten, Händlern und Importeuren beeinflusst werden.
Zu den Gasmärkten: In Europa sind laut einer Analyse des Draghi-Berichts wenige Unternehmen für den Großteil der Handelsaktivitäten auf den europäischen Gasmärkten verantwortlich. So habe die Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA darauf hingeweisen, dass diese Konzentration 2022 während des größten Anstiegs der Erdgaspreise noch zugenommen hat. Die fünf führenden Handelsunternehmen halten an einigen Handelsplätzen rund 60 Prozent der Vertragspositionen und im Bereich der kurzfristigen Vertragsabschlüsse ist deren Dominanz zwischen Februar und November 2022 um fast 200 Prozent gestiegen. Der Bericht plädiert daher für die Einführung von Verhaltens- und Aufsichtsregeln, wie sie bei den Finanzunternehmen bereits üblich sind.
Die aktuellen europäischen Marktregeln geben die von diesem Handelssystem erzeugten Preisschwankungen direkt an die Endverbraucher weiter. Selbst wenn Europa seine Abhängigkeit von Erdgas verringert und verstärkt in die Erzeugung „grüner” Energie investiert, entkoppeln diese Marktregeln den Preis für erneuerbare und nukleare Energie nicht vollständig von den deutlich höheren und volatileren Preisen für fossile Brennstoffe. Auf den europäischen Handelsplätzen müssten „grüne“ Produzenten ihre mit Sonne, Wind oder Wasser erzeugte Energie eigentlich zu niedrigeren Preisen anbieten können als Kraftwerke, die auf den Import von fossilem Gas angewiesen sind. Das ist aber – leider – nicht so. An der Strombörse bieten Kraftwerksbetreiber Preisangebote und Liefermengen für bestimmte Zeiträume an. Die Einsatzreihenfolge im Day-Ahead Handel wird vom billigsten Kraftwerk aufsteigend bis zum teuersten Angebot des letzten zur Bedarfsdeckung noch notwendigen Kraftwerks ermittelt. Dieses „Merit-Order“-System orientiert sich an den Grenzkosten, die bei einem Kraftwerk für die jeweils letzte produzierte Megawattstunde anfallen. Öko-Kraftwerke, die – wie Windparks, Wasserkraftwerke oder Solaranlagen – die niedrigsten Stromgestehungskosten aufweisen, führen diese Einsatzreihenfolge an und werden daher als erste zur Einspeisung in das Netz zugelassen. Darauf folgen Kraftwerke mit höheren Grenzkosten – wie etwa Kohle- oder Gaskraftwerke – bis die Tagesnachfrage gedeckt ist. An den Strombörsen ist der Market-Clearing-Price oder Markträumungspreis das letzte Angebot, das einen Zuschlag erhält. Das Kraftwerk mit den teuersten Grenzkosten, das ganz hinten in der Einsatzreihenfolge steht, definiert also den Börsenpreis für alle anderen Kraftwerke.
2022, auf dem Höhepunkt der Energiekrise, war das Erdgas in Europa der dominierende Faktor für die Festsetzung der Preise für elektrische Energie, obwohl dessen Anteil am Strommix in der EU damals nur 20 Prozent betrug. Der Einsatz von langfristigen Vertragsmodellen (Power Purchase Agreements oder Contracts for Difference) könnte laut dem Bericht dazu beitragen, diese Dominanz abzuschwächen. In diesem Schlüsselbereich bestehe aber dringender Handlungsbedarf. Denn selbst wenn die Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien erreicht werden sollten, werde der Einfluss fossiler Brennstoffe bei der Preisgestaltung im Stromsektor mit den aktuellen Regelungsmechanismen „bis 2030 nicht wesentlich reduziert”.
Stichwort Bürokratie: Vor der Inbetriebnahme neuer Kraftwerke oder neuer Stromnetze vergehen in den EU-Mitgliedsstaaten – von der Machbarkeitsstudie bis zum endgültigen Projektabschluss – immer noch viele Jahre. Das Genehmigungsverfahren für Onshore-Windparks kann in einigen Mitgliedstaaten bis zu neun Jahre dauern, bei bodengestützten Photovoltaikanlagen sind es immer noch drei bis vier Jahre. Die EU hat zwar inzwischen Initiativen zur Verkürzung der Genehmigungsverfahren entwickelt, aber es gibt immer noch erhebliche Hürden bei deren Umsetzung, insbesondere aufgrund mangelnder Verwaltungskapazitäten, fehlender Fachkenntnisse und Nachholbedarf bei der Digitalisierung.
Stichwort Steuern: Im Gegensatz zur EU erheben die USA keine Bundessteuern auf den Strom- oder Erdgasverbrauch. Da die Stromerzeugung in den Anwendungsbereich des EU-Emissionshandelssystems fällt, ist der CO₂-Ausstoß in den Erzeugungskosten bereits eingepreist. Diese Kosten sind in der EU hoch und schwanken: Sie belaufen sich auf 20–25 Euro pro Megawattstunde (MWh) für die gasbefeuerte Stromerzeugung, während sie in Kalifornien bei 10–15 Euro pro MWh liegen. Subtrahiert man die von den Erzeugern gezahlten CO₂-Kosten, betragen die eigentlichen Gestehungskosten für Haushaltskunden etwa 45 Prozent und für die Industrie etwa 65 Prozent der Einzelhandelspreise. Die restlichen Kosten betreffen zu etwa gleichen Teilen auf die Netzverwaltung und die – hohen – Steuern.
Die hohen Preise für elektrische Energie und Wärme sind, vor allem nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, ein gravierender Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie. Laut dem Draghi-Bericht ist dieses Ungleichgewicht vor allem auf strukturelle Ursachen zurückzuführen. So verfügt Europa nur über wenige natürliche Ressurcen und die kollektive Verhandlungsmacht der EU-Staaten ist begrenzt – obwohl Europa der weltweit größte Abnehmer von fossilem Erdgas ist. Die Preisunterschiede – so der Draghi-Bericht – seien aber auch „auf grundlegende Probleme auf dem EU-Energiemarkt” zurückzuführen. Die Höhe der Investitionen der für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze bereitgestellten Investitionen sei „suboptimal” und die Marktregeln hinderten sowohl Industrie wie auch die Haushalte daran, „die finanziellen Vorteile erneuerbarer Energie voll auszuschöpfen”. Die im Vergleich zu anderen Teilen der Welt höhere Energiebesteuerung verteure die Preise für Strom und Wärme zusätzlich.
Stichwort Erdgas: Die EU ist der größte Gas- und LNG-Importeur weltweit, doch die kollektive Verhandlungsmacht der Gemeinschaft wird kaum genutzt. Während der Energiekrise im Jahr 2022 führte der EU-interne Wettbewerb um Erdgas sogar zu einem übermäßigen Preisanstieg. Daraufhin entwickelte die EU einen eigenen Koordinierungsmechanismus, um die Nachfrage zu bündeln, aber es besteht keine Verpflichtung zum gemeinsamen Einkauf auf dieser Plattform. 2023 bezogen die EU-Staaten – nach dem Importstop für russisches Erdgas – 42 Prozent ihrer Gaseinfuhren als LNG (Liquefied Natural Gas). Allerdings sind die LNG-Preise auf den Spotmärkten, auf denen kurzfristige Lieferverträge abgeschlossen werden, die den Gashandel in der EU dominieren, aufgrund der Verflüssigungs- und Transportkosten höher als die Preise für Erdgas, das über Pipelines transportiert wird. Selbst Erdgas, das im Rahmen langfristiger Verträge eingekauft wird, ist größtenteils an die Spotmärkte gebunden, die weltweit zunehmend von asiatischen Lieferanten, Händlern und Importeuren beeinflusst werden.
Zu den Gasmärkten: In Europa sind laut einer Analyse des Draghi-Berichts wenige Unternehmen für den Großteil der Handelsaktivitäten auf den europäischen Gasmärkten verantwortlich. So habe die Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA darauf hingeweisen, dass diese Konzentration 2022 während des größten Anstiegs der Erdgaspreise noch zugenommen hat. Die fünf führenden Handelsunternehmen halten an einigen Handelsplätzen rund 60 Prozent der Vertragspositionen und im Bereich der kurzfristigen Vertragsabschlüsse ist deren Dominanz zwischen Februar und November 2022 um fast 200 Prozent gestiegen. Der Bericht plädiert daher für die Einführung von Verhaltens- und Aufsichtsregeln, wie sie bei den Finanzunternehmen bereits üblich sind.
Die aktuellen europäischen Marktregeln geben die von diesem Handelssystem erzeugten Preisschwankungen direkt an die Endverbraucher weiter. Selbst wenn Europa seine Abhängigkeit von Erdgas verringert und verstärkt in die Erzeugung „grüner” Energie investiert, entkoppeln diese Marktregeln den Preis für erneuerbare und nukleare Energie nicht vollständig von den deutlich höheren und volatileren Preisen für fossile Brennstoffe. Auf den europäischen Handelsplätzen müssten „grüne“ Produzenten ihre mit Sonne, Wind oder Wasser erzeugte Energie eigentlich zu niedrigeren Preisen anbieten können als Kraftwerke, die auf den Import von fossilem Gas angewiesen sind. Das ist aber – leider – nicht so. An der Strombörse bieten Kraftwerksbetreiber Preisangebote und Liefermengen für bestimmte Zeiträume an. Die Einsatzreihenfolge im Day-Ahead Handel wird vom billigsten Kraftwerk aufsteigend bis zum teuersten Angebot des letzten zur Bedarfsdeckung noch notwendigen Kraftwerks ermittelt. Dieses „Merit-Order“-System orientiert sich an den Grenzkosten, die bei einem Kraftwerk für die jeweils letzte produzierte Megawattstunde anfallen. Öko-Kraftwerke, die – wie Windparks, Wasserkraftwerke oder Solaranlagen – die niedrigsten Stromgestehungskosten aufweisen, führen diese Einsatzreihenfolge an und werden daher als erste zur Einspeisung in das Netz zugelassen. Darauf folgen Kraftwerke mit höheren Grenzkosten – wie etwa Kohle- oder Gaskraftwerke – bis die Tagesnachfrage gedeckt ist. An den Strombörsen ist der Market-Clearing-Price oder Markträumungspreis das letzte Angebot, das einen Zuschlag erhält. Das Kraftwerk mit den teuersten Grenzkosten, das ganz hinten in der Einsatzreihenfolge steht, definiert also den Börsenpreis für alle anderen Kraftwerke.
2022, auf dem Höhepunkt der Energiekrise, war das Erdgas in Europa der dominierende Faktor für die Festsetzung der Preise für elektrische Energie, obwohl dessen Anteil am Strommix in der EU damals nur 20 Prozent betrug. Der Einsatz von langfristigen Vertragsmodellen (Power Purchase Agreements oder Contracts for Difference) könnte laut dem Bericht dazu beitragen, diese Dominanz abzuschwächen. In diesem Schlüsselbereich bestehe aber dringender Handlungsbedarf. Denn selbst wenn die Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien erreicht werden sollten, werde der Einfluss fossiler Brennstoffe bei der Preisgestaltung im Stromsektor mit den aktuellen Regelungsmechanismen „bis 2030 nicht wesentlich reduziert”.
Stichwort Bürokratie: Vor der Inbetriebnahme neuer Kraftwerke oder neuer Stromnetze vergehen in den EU-Mitgliedsstaaten – von der Machbarkeitsstudie bis zum endgültigen Projektabschluss – immer noch viele Jahre. Das Genehmigungsverfahren für Onshore-Windparks kann in einigen Mitgliedstaaten bis zu neun Jahre dauern, bei bodengestützten Photovoltaikanlagen sind es immer noch drei bis vier Jahre. Die EU hat zwar inzwischen Initiativen zur Verkürzung der Genehmigungsverfahren entwickelt, aber es gibt immer noch erhebliche Hürden bei deren Umsetzung, insbesondere aufgrund mangelnder Verwaltungskapazitäten, fehlender Fachkenntnisse und Nachholbedarf bei der Digitalisierung.
Stichwort Steuern: Im Gegensatz zur EU erheben die USA keine Bundessteuern auf den Strom- oder Erdgasverbrauch. Da die Stromerzeugung in den Anwendungsbereich des EU-Emissionshandelssystems fällt, ist der CO₂-Ausstoß in den Erzeugungskosten bereits eingepreist. Diese Kosten sind in der EU hoch und schwanken: Sie belaufen sich auf 20–25 Euro pro Megawattstunde (MWh) für die gasbefeuerte Stromerzeugung, während sie in Kalifornien bei 10–15 Euro pro MWh liegen. Subtrahiert man die von den Erzeugern gezahlten CO₂-Kosten, betragen die eigentlichen Gestehungskosten für Haushaltskunden etwa 45 Prozent und für die Industrie etwa 65 Prozent der Einzelhandelspreise. Die restlichen Kosten betreffen zu etwa gleichen Teilen auf die Netzverwaltung und die – hohen – Steuern.